Spielköpfe: So verändert das Social Startup spielerisch die Welt

Menschen spielen am diversen Kickertisch

Von Doppelkopf zum sozialen Wandel: Im Gespräch mit Sam über Gleichberechtigung, Spiele und Aktivismus

Wie entstand die Idee, Spielköpfe zu gründen und wofür steht das Unternehmen heute?

Die Idee von Spielköpfe entstand – wie soll es anders sein – beim Spielen, beim Doppelkopf-Spielen, um genau zu sein. Seit Jahren sind wir mit der Auseinandersetzung mit feministischen und anti-rassistischen Themen beschäftigt. Retroperspektiv betrachtet haben wir recht lange gebraucht, um zu bemerken, dass sich diese Themen durch die alltäglichsten Dinge ziehen, wie beispielsweise Spiele.

Obwohl beim Doppelkopf natürlich die Dame der höchste Trumpf ist, ist die Dominanz der Könige, trotz ihres recht wertlosen Daseins in der Doppelkopfwelt, nicht weg zu argumentieren. Eine Königin gibt es schlicht und ergreifend nicht. Zudem sind die Personen alle weiß, able-bodied und auch sonst sehr stereotyphaft und so gar nicht vielfältig dargestellt.

Problem erkannt, wollte ich, Sam, mich damals einfach mit modernen und diverseren Spielkarten ausstatten und durchforstete das Internet, fand aber leider nichts. Praktischerweise arbeitete ich gleichzeitig an meiner Bewerbung für ein Masterstudium, wo ich mich eh mit einer eigenen Projektidee bewerben musste. Gedacht, getan und angenommen. In diesem Master, bzw. in dem Seminar, indem wir eine eigene Projektidee in die Tat umsetzen sollten, lernte ich dann Caro und Jana kennen und wir Drei begannen Spielköpfe zu gründen. 

Heute stehen wir, inzwischen nur noch Jana und ich zu zweit zusammen mit unseren Werkstudentinnen, als Sozial-Unternehmen mit unserem Motto "Änder' dein Spiel, um zu ändern, wie du denkst!" für eine gerechtere und gleichberechtigte Zukunft ein - und die beginnt für uns im Kleinen, bei jedem Spiel, was Kinder und auch Erwachsene spielen. 

 

Ihr habt euch zum Ziel gesetzt, mit Spielen Menschen zu verbinden, indem ihr vielfältigere und gerechtere Figuren z.B. auf Spielkarten abbildet. Eure Produkte sind gendergerecht, vielfältig und nachhaltig. Warum habt ihr das Medium Spiele dafür gewählt?

Ein Drittel aller Menschen in Deutschland erlebt regelmäßig Diskriminierung. Davon sind vor allem Frauen, BIPoC (Schwarze Menschen, Indigene, Menschen of Color) und Menschen, die (vermeintlich) eine nicht-christliche Religion praktizieren, betroffen. Besonders schwierig ist es für Menschen, die unter Mehrfachdiskriminierung (intersektionale Diskriminierung) leiden, z.B. Schwarze Frauen oder Muslimas.

Was hat das jetzt mit Spielen zu tun? Diskriminierung entsteht häufig durch Stereotypisierung und durch Vorurteile. Diese entwickeln sich in uns von klein auf durch die Bilder, die wir beispielsweise in Spielen oder Büchern ständig sehen.
Die fehlende Darstellung von Frauen, BIPoC und anderen marginalisierten Gruppen trägt einen maßgeblichen Teil dazu bei!

Das wollen wir ändern und eine vielfältige und gleichberechtigte Welt zeigen, in der sich jede Person unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht oder anderen äußeren Merkmalen wiederfinden kann. Das fängt bei alltäglichen Gegenständen wie Spielen an!

Gleichzeitig ist es oft so, dass der Austausch über schwierige Themen wie Rassismus oder Sexismus bei vielen Menschen mit Unsicherheiten und Angst verbunden ist. Durch eine unverkrampfte Atmosphäre bei einem Spieleabend, bspw. mit den eigenen Großeltern, können solche Themen einfacher zugänglicher gemacht werden und regen zum Nachdenken an. Außerdem sind leider immer noch vielen Menschen die Diskriminierungsstrukturen in unserer Gesellschaft gar nicht bewusst. Deshalb versuchen wir auch mit Spielen wie Erfinderinnen Memo oder unseren Workshops nicht nur Menschen vielfältig zu repräsentieren, sondern auch Bildung und Aufklärung in diesen Themenbereichen zu leisten.

 

Wie werden die Spiele von Spielköpfe von Spieler*innen wahrgenommen und wie hat sich die Resonanz auf die veränderten Spielinhalte entwickelt?

Die Vision, auf leicht verständliche Art eine Idee von Gendergerechtigkeit und Vielfalt in die Breite der Gesellschaft zu tragen und damit Diskussionen und Verständnis außerhalb unserer „Bubble“ anzuregen, ist toll. Wir bekommen viel positives Feedback und viele E-Mails von Kund*innen, die sich richtig über unsere Produkte freuen.

Gleichzeitig haben wir gerade am Anfang auch Hate abbekommen. Nicht in dem Maße wie es vielen bekannteren Influencer*innen oder BIPoCs, die in der Öffentlichkeit stehen, passiert, aber es hat uns viel beschäftigt. Einmal kam auf einen Instagram-Tweet über uns der FAZ so viel hate und auch persönliche Namensnennung, dass Jana eine Panik Attacke hatte. Wir haben schon vor der Gründung und unserem öffentlichen Auftreten überlegt, wie wir unsere Daten bspw. Adressen und Telefonnummern im Internet schützen können. Viele Gedanken, die sich weiße cis-Männer nicht machen müssen.

 

Am Anfang war es sicherlich nicht einfach für euch. Gibt es einen Moment, der euch besonders in Erinnerung geblieben ist?

Da gab es zahlreiche Momente, wie Fails (Symbole zu klein, werden Verwechselt, falscher QR Code), ständig die einzigen Frauen in Start-Up Welt zu sein und unterschätzt zu werden. 

 

Dann gab es sicherlich auch sehr glückliche Momente. Auf welche Erfolge  im Zusammenhang mit Spielköpfe seid ihr besonders stolz?

Ein halbes Jahr nachdem wir uns kennengelernt und mit dem Projekt gestartet haben, gewannen wir den Yooweedoo Ideenwettbewerb und hatten dadurch eine kleine Finanzhilfe, um die ersten Künstler*innen Gehälter und Probedrucke für unsere Karten zu bezahlen. Das war richtig cool!

Ein Jahr nach unserem Kennenlernen und Projekt-Start lief unsere Crowdfunding Kampagne im Oktober 2019 und wir haben sage und schreibe über 10.000€ für unsere Skat und Doppelkopf-Decks sammeln können. Das hat unsere Erwartungen bei Weitem übertroffen.

Kurz darauf war der Webshop online und das Weihnachtsgeschäft ging los, wir beschrifteten handschriftlich zahlreiche Briefumschläge und brachten jutebeutelweise Spielepakete zur Post – und haben unseren ersten Shop in Kiel beliefert – wie cool!

 

Welche Pläne habt ihr für die Zukunft, sowohl in Bezug auf neue Spiele als auch auf die Weiterentwicklung der bestehenden Spiele? Wo seht ihr euch in 5 – 10 Jahren?

Das Unbehagen in einer kapitalistischen Welt, wo Krisen auf Krisen folgen, ein Unternehmen zu gründen. Wir haben klare Werte, die uns sehr wichtig sind. Aber plötzlich sehen wir uns damit konfrontiert PayPal Geld zu zahlen, um möglichst einfache Bezahlarten auf unserer eigenen Webseite anzubieten, weil Vorkasse halt leider doch sehr unpraktisch ist und niemand nutzen möchte. Wir müssen Instagram und Facebook bespielen, um unser Produkt – und damit ja unsere Vision – bekannt zu machen. Spätestens wenn die Verkaufszahlen schlecht sind und wir Angst haben, uns im nächsten Monat keinen Lohn mehr auszahlen zu können, fangen wir dann doch an darüber zu diskutieren, ob wir es vertreten können, Social Media Werbung zu schalten, d.h. Meta Geld zu bezahlen oder unsere Produkte nicht doch auf Amazon anzubieten. All diese Ding sind eigentlich ein No-Go für uns, aber wir leben aktuell davon, dass Menschen unsere Produkte kaufen.

Auch vor Spielköpfe befanden wir uns beide im ständigen Gedankenpendel zwischen trauriger Verzweiflung über die Missstände unserer Welt und unbändigem Aktivitätsoptimismus etwas Gutes für die Welt zu tun. Wir wollen dafür sorgen, dass die Welt zu einem besseren Ort wird, so pathetisch das klingen mag, so wahr und ernst ist es gemeint. Und dann ein Unternehmen gründen?! Das von seinem Kern aus nach im Widerspruch zu allem steht, was die linkspolitische und anti-kapitalistische Jugend – also wir – will.

Klar, wir sind ein Social Start-Up mit Betonung auf social; klar, wir wollen die Themen, für die wir einstehen vom ganzen Herzen in die Breite der Gesellschaft tragen; klar, wir setzen uns mit Verantwortungseigentum und der Purpose-Bewegung auseinander und werden diese Unternehmensform langfristig umsetzen; klar, wir kennen Stiftungsmodelle, Spendenansätze und mit Unternehmen verbundene Vereinsorganisationen; klar, wir wollen unseren Impact messen und vergrößern; klar, wir werden unsere betrieblichen CO2 Emissionen kompensieren und unsere Karten sind klimapositiv gedruckt.

Aber bei aller Liebe zu Spielköpfe und unseren Visionen und Missionen, ist „sinnvolles“ Wirtschaften wirklich die Alternative? Oder braucht es radikaleres? Ist unsere Zeit, die wir ehrlicherweise momentan viel mit Vertrieb, Administration und Verkauf verbringen müssen, um uns selbst und unsere tollen Mitstreiter*innen zu bezahlen, hier gut genutzt? Oder würden wir an anderer Stelle, in der Politik, im Aktivismus, in NGOs mehr bewirken? Was können wir überhaupt tun, um unsere Welt ein Stück gerechter zu machen? Ich weiß, das sind keine besonders innovativen Gedanken und klingt nach infantilem Weltschmerz der Generationen Y/Z.

Aber dieser Weltschmerz begleitet uns nun seit der Gründung bzw. schon davor und ist daher in den Wurzeln unseres Unternehmens verankert. Und wir tun uns tatsächlich schwer damit. „Tu Gutes und rede drüber“ ist das Mantra der Social Start-Up Szene, aber was tut wirklich gut? Unserem Planeten, unseren Mitmenschen, uns?

Für uns bleibt das Unbehagen über die Nicht-Existenz der Antwort auf diese Frage bestehen vermutlich unser ganzes Leben lang – als Gründerinnen, als Kapitalismuskritikerinnen, als Aktivistinnen, als intersektionale Feministinnen, als Menschen.

 

Was würdet ihr angehenden Gründer*innen im Diversity Spielzeug Bereich raten?

Lasst euch nicht von anderen blenden oder unterkriegen. Unterschätzt euch nicht. Macht Schritte in die Professionalisierung lieber zu früh als zu spät. Überlegt wie ihr Arbeiten und leben wollt.

 

Gibt es noch etwas, was wir ihr abschließend mitteilen möchtet? 

Smash sexism, smash the cis-tem, smash capitalism!

 

Sam und Jana, vielen Dank für das Interview!Bube Dame König*in Spielekarten Set von Spielköpfe

 

 

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 Conflict Food Gründer

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